Geschichtstheater

...was ist das?

Geschichtstheater ist der Versuch einer Lehnübersetzung aus dem Englischen. "Living History" heisst dort eine schon seit Jahrzehnten etablierte museumspädagogische Praxis, die Geschichte und ihre Präsentation nicht mehr nur als Schaustücke hinter Glas und als zweidimensionale Erklärung dazu an der Wand entlang versteht. Statt dessen soll interaktiv gelernt und gelehrt werden und zwar nicht in Form schulmeisterlicher Belehrung, sondern über das Anschauen: Geschichtswissen als Theater eben. Besucher britischer oder nordamerikanischer Freilichtmuseen erwarten, dass ihnen dort in historische Kostüme gekleidete Menschen begegnen. Diese gehen alltäglichen Arbeiten der historischen Periode nach, die in dem Museum dargestellt wird, und man kann, ja man soll sie sogar ansprechen. So bekommen die Besucher dann Erläuterungen oder werden in Gespräche verwickelt. An manchen Stellen im Museum gibt es vielleicht auch spontane oder einstudierte Spielszenen. Die Bandbreite der Aufführungsformen ist groß.

"Living History" hat also sowohl eine Menge mit Geschichte wie auch mit Theater zu tun. Dabei ist sie nicht notwendig auf das Museum als Aufführungsraum begrenzt, obwohl dort natürlich die besten Bedingungen herrschen. Was aber, wenn man eine historische Periode darstellen möchte, für die es keine oder nur wenige und vielleicht weit entfernte Museen gibt? Oder wenn, wie gerade in Deutschland noch weit verbreitet, "Living History" seitens vieler Museen mit Misstrauen und mehr oder weniger offener Ablehnung begegnet wird? Hierzulande sieht die Museenlandschaft anders aus als in den USA und GB, und mancher Museumsdirektor und auch viele Museumspädagogen befürchten eine Disneylandisierung ihrer Ausstellungen. Diese Befürchtungen sind angesichts mancher Auswüchse in der Museumskultur der USA und angesichts der Konzentration der meisten sogenannten Reenactments auf "battles and leaders", Kriegsgeschehen und Fürstenfiguren, durchaus verständlich. Die Geschichtstheatergesellschaft versucht deshalb seit ihrer Gründung 1996, Methoden und Techniken zu entwickeln, um "Living History"/ Geschichtstheater einerseits museumstauglich zu machen, andererseits auch in den öffentlichen, nicht-musealen Raum zu übertragen.

Natürlich ist die Vorstellung "lebendiger" Vergangenheit eigentlich absurd -- auch deshalb liegt bei uns die Betonung auf Geschichte(n) und auf Theater. Wir benutzen die Aufführung im historischen Kostüm, um Zuschauer zu erreichen, die sich sonst vielleicht nicht für Geschichte interessieren würden, und weil wir denken, dass in einer medialisierten und mit optischen Eindrücken arbeitenden Gesellschaft Geschichtspädagogik sich nicht mehr hinter Folianten und in Vitrinen abgelegten Objekten verstecken kann, wenn sie weiterhin wahrgenommen werden und als Bildungsgut produktiv sein will.

Seine Entstehung verdankt Geschichtstheater zum einen der zunehmenden Auflösung historischer Abgrenzungen durch die ständige 'Gegenwart' der Vergangenheit in den Medien. Von Historienschinken aus Hollywood bis zu historischen Dokumentationen: täglich sind Originalkostüme, historische Bauten und Objekte oder mehr oder weniger akkurate Rekonstruktionen davon vor aller Augen. Geschichte wird in der jüngsten, gerade nachwachsenden Generation zunehmend nicht mehr als zeitliche Abfolge erlebt, sondern als Raum, als per Mausklick oder über die Fernbedienung erreichbarer Ander-Ort. Dem kommt Geschichtstheater entgegen.

Zum anderen bedient Geschichtstheater das Bedürfnis, sich gerade unter diesen Bedingungen verstärkt mit der eigenen historisch gewachsenen Identität als Familien- und Lokalgeschichte auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung kann in der Form des Geschichtstheaters spielerisch und kreativ stattfinden.

Unsere Darstellung umfasst verschiedene historische Perioden. Wir treten z.B. bei Festen, in Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen, in Freilichtmuseen und im öffentlichen Raum etwa bei Gedenkfeiern historischer Jahrestage auf. Unser Angebot umfasst szenische Darstellungen und Aufführungen sowie Vorträge und Seminare mit oder ohne Kostüm und in mehr oder weniger wissenschaftlicher Ausrichtung. Dazu erarbeiten wir Publikationen, übernehmen Beratertätigkeiten, wirken bei Filmen und Dokumentationen mit usw.

Im Unterschied zum Geschichtstheater/ "Living History" sind andere Schauformen und besonders die sogenannten Reenactments ereignisorientiert. In Europa und Nordamerika ziehen sich zu den jeweiligen Events zehntausende ansonsten ganz normaler Menschen ihre Kostüme an und versuchen, sich für ein paar Tage in ihre jeweiligen Vergangenheiten zu versetzen. Wegen des Spektakels liegt der Schwerpunkt der Reenactments oft bei Aufführungen von Schlachten. Darüber kann man geteilter Meinung sein; wir sind es auch. Auf jeden Fall beiten aber auch die Reenactments eine Menge Gelegenheit für geschichtstheater, in der Regel im Rahmenprogramm.

Unsere Absichten sind nicht unpolitisch: Wir 'spielen' und verbreiten zuvorderst Informationen über deutsche Beteiligungen an demokratischen Entwicklungen und Revolutionen in der europäischen und nordamerikanischen Geschichte. Wir hoffen damit zur Verbreitung und Verwurzelung eines freiheitlichen Bewusstseins in unserem Land beizutragen. Geschichtstheater kann ein Weg sein, Demokratie zu lernen.